Nordpolarkreis

Angekommen in Inuvik

Hier bin ich also gelandet, da wo ich seit über 20 Jahren mal hinwollte. Eigentlich mit Kajak den Mackenzie runter und mit Fahrrad zurück. Naja, so ist es auch faszinierend.
Gegen 14 Uhr radelte ich hier ein. Eine verlorene Stadt am Ende der Welt. Heute war es ziemlich warm mit 21 Grad. Bauernmarkt auf der Wiese. Nach Kaffee, Kuchen, Telefonat mit Rita zum Zeltplatz und zur Tanke, um das Fahrrad zu reinigen. Viel Dreck und Schmier. Dann Zelt aufbauen und Gespräche mit den Nachbarn. Die heiße Dusche nach drei Tagen Wildnis war ein Erlebnis. Suche nach einem Lift für Morgen, Abendessen im ersten Haus des Ortes (alles andere war schon zu). Als ich rausging dann sah ich auf einmal zwei Fahrräder wie meins. Seit Whitehorse waren sie immer 40 km vor mir. Nachher werden wir quatschen. Jetzt erst noch einen Kaffee und diese E-Mail.

Zwangspause wegen Mistwetter

Abenteuer pur. Hätte ich aber nicht so gerne gehabt. Ab dem frühen morgen hat es aus Eimern gegossen. An Weiterfahrt nicht zu denken, die Straßen reiner Schlamm 10 cm hoch. Nur die schwersten LKW kommen da durch. Tolle Aussicht, den ganzen Tag im kleinen Zelt zu sein, schwer mit kochen wegen der Quälgeister und aufpassen wegen der Großen. Und alles klamm und kalt. Tolles Abenteuer.

Nach ein paar Sudokus kam mir die Idee, nach dem Küchenhaus zu suchen. Und tatsächlich, es gab eins. Feine Angelegenheit, 4 x 7 m mit Dach, Eisenofen und hier mit Mosquito-Gitter. Also gleich mit allem ungezogen, dann das Zelt. Von ein paar trockenen Bäumen die Rinde ab zum Anheizen, zwei kleinere Stücke Holz und schon brannte es richtig. Ok.
Und jetzt kam das Frühstück, war auch schon 11 Uhr geworden. Den Tee noch auf meinem Kocher und ordentlich Müsli. Da schien die Welt fast in Ordnung, bis auf Straße und Regen. Der hörte dann auch bald auf, aber kein Wind und dicke Wolken. Das könnte ja was werden. Zu essen habe ich für ein paar Tage, Wasser auch, den Fluss nebenan und eine Wasseranlage mit dabei. Nur so spannend ist es hier auf dem Campingplatz im Wald auch wieder nicht. Mit Wäsche waschen, Sachen trocknen, Rad abspülen, lesen, nach Wind, Wetter und Straße schauen, verging dann der Tag. Zwischendurch Mittag, heute aus dem Leipziger Küchenschrank mitgebrachte Madraspfanne für zwei Personen. Und immer wieder Holz holen und nachschieben. Dampft und qualmt ordentlich im Wald. Ab 16 Uhr wurde es heller, Lufthauch, Sonne erkennbar. Nach 21 Uhr kaum noch Wolken und Sonne zu erahnen. Ab 19 Uhr kamen Leute auf den Campingplatz, es füllt sich. Also geht die Straße wieder. Dann kann es morgen weiter gehen. Zum Abendbrot gab es Käsenudeln.
Gerade war ein kanadisches Paar mit Kindern angekommen. Da konnten die in Ruhe in der warmen Stube ohne die lästigen Mücken Essen machen. Gequatscht haben wir auch. So schlimm wie hier war es die ganze Strecke nicht mit Regen. In Tombstone schien die Sonne und die Straßen waren gut.

Mittsommer am Polarkreis

Das GPS spielt verrückt. Zuerst änderte sich die Zeit bis zum Sonnenuntergang sehr, je weiter ich nach Norden fuhr. Schließlich war es klar: Sonnenuntergang um 1.53 Uhr. Kurz darauf, die Sonne stand noch ziemlich hoch, kam die Meldung: Sonnenaufgang in 1h 54min.
Ziemlich genau am Polarkreis liegt dies Eagle Plains, Tanke, Hotel, Zeltplatz, Werkstätten für alles, Flugplatz, Strassenmeisterei. Ziemlich frei von Mosquitos auf 700m.
Der Tag war wirklich anstrengend, da der nächste Platz 180 km weiter war und die Straßenbauer versucht haben, alle Berge an der Spitze zu treffen mit steilen Anstiegen von 8 bis 10%. Die Schotterstraße nach Inuvik an der Mündung des Mackensie (Dempster Highway) ist grossenteils erstaunlich gut. Bei Regen schlammig, häufig Schlaglöcher. Meine vordere Satteltasche hab ich bei voller Fahrt verloren. Die Dose Bier hat es zerrissen. Schade. Und die Tasche voll Bier. So haben die Ersatzteile mal was gutes bekommen. Mitten bei der Trockenaktion kam der Regen. Wann sonst?
Die Ursache war dann schwieriger zu finden. Dann die Überraschung: Die guten teuren Ortliebtaschen sind nicht für tauge Straßen geeignet. Der Verschluss war völlig abgeschliffen, so dass die Klauen nicht greifen. Mit einer starken Leine ist die Tasche fest, aber dauerhaft. Kurz darauf ging die Kette ab. Bei dem Schlamm, Staub und Wasser auch kein Wunder. Also reinigen und etwas Kettenöl.
Die Landschaft ist meistens überwältigend. Seit den Tombstone Mountains habe ich das Gefühl durch Werkstatt und Labor der Erschaffung der Erde zu fahren. Überall Mineralien, verschiedenste Gesteine, schwarze, rote, gelbe Flüsse. Manchmal der Geruch von Schwefel, dicke Kohleschichten, Schotter zu riesigen Berge aufgetürmt, riesige Kalkwände, Unmengen an Bäumen in den Flüssen und an den Hängen.
Hätte ich nicht gedacht, dass der Norden hier so gebirgig ist. Sah auf Karte und Atlas eher flach aus. Vielleicht komme ich ja da noch hin. Heute über den Polarkreis und die Grenze nach NWT. Morgen dann Fort Macpherson am Peel und Mackensie, beide mit Fähre. Sind erst seit drei Wochen offen, wegen Eisaufbruch und Schollen. Seit Tagen bin ich im Bereich von Permafrost, eigentlich seit Dawson.

 

Rock River am Polarkreis

Soeben habe ich den Polarkreis überschritten. Die Sonne scheint ohne Unterlass, wenn denn keine Wolken da sind. Auch das GPS-Navi hat begriffen, wo wir sind, zeigt jetzt weder Sonnenaufgang noch Sonnenuntergang an.
Heute Morgen regnete es leicht und schwere Regenwolken lagen tief über den Hügeln und Bergen. Die Nachbarn, ein paar kanadische Biker mit Begleitfahrzeug, räumten früh umher. So verbrachte ich die nächste Zeit unter der Dusche. Ein tolles Gefühl, das warme Wasser und ein warmer Raum. Dabei lernte ich einige Wohnwagen-Camper und deren Probleme kennen.
Schnell änderte ich meine Planungen und brach das Zelt in den trockenen 10 Minuten ab. Tatsächlich dauert es mehr als eine halbe Stunde, samt Nebenarbeiten, bis alles verstaut ist. Danach hatte ich viel Zeit für ein riesiges Frühstück, da es sowieso regnete und ich am Vortag genug gemacht hatte.
Zufällig fragte ich nach WLAN. Es gab tatsächlich mehrere, die jedoch wegen schlechten Wetters ausgefallen waren und repariert wurden. Nach Eingabe vom PW (gegen 5 CDN), funktionierte es schon. Nach drei Tagen endlich wieder Internet, mails etc. . Wahrscheinlich gibt es hier ein Netz wegen des Landeplatzes mit Hubschrauber und Notrettung. Rita hatte ich schon in der Nacht (für mich) angerufen, vom Münztelefon mit Kreditkarte. Nach drei Tagen ein Lebenszeichen und Ritas Stimme!
Draußen regnete es in kräftigen Schauern. So konnte ich alles in Ruhe machen. Bestimmt 6 Becher Kaffee und 3 Glas Wasser habe ich dabei geleert. Und Wetterberichte studiert. So wurde es langsam 13 Uhr. Wenn das alles so stimmte, müsste es bald trocken sein und die Sonne scheinen. Während ich mich draußen langsam fertig machte, kam ein Biker an und stieg ab: „I had thought to be tough, but than I saw you“ (Ich hatte gedacht, stark zu sein, dann sah ich dich. R.S.) und verschwand im Restaurant.

Dass so wenig Regen den Straßen so zusetzen kann, hatte ich nicht gedacht. Die Straße war offen, mit ein paar Hinweisen. Erst ging es 400m zum Fluss runter und dann 400m hoch. Und unten war Schlamm. So ging es nur langsam voran, ich hatte ja auch nur 78km vor den Pedalen. Und es klarte tatsächlich auf, die Sonne kam. Mein Fahrrad sah inzwischen gewürzt aus. Die Autos aber auch. Dann kam der Polarkreis. Ein paar Hinweistafeln, gestützt wegen des Wetters. Das war alles. Gleichzeitig kamen drei Wohnmobile, Leute aus Dietz, die mich für verrückt hielten, mit dem Fahrrad dahin zu fahren, wo sie mit ihren dicken Autos Probleme hatten. Nur mit Mühe waren sie einige Berge hoch gekommen, vor 10 km und vor 40 km. Das konnte ja was werden. Doch durch den Wind und die Sonne wurde alles schnell besser und wieder befahrbar. Nur mein Fahrrad muss ich morgen bei der nächsten Tanke ordentlich abstrahlen. Dass Kette und Gangschaltung das alles so mitmachen, ist schon erstaunlich.
Neben meinem Schlafsack hab ich jetzt immer zwei Sprays, eins gegen die kleiner Quälgeister, seit drei Tagen im Einsatz, sehr wirksam. Das andere gegen Bären. Die sind immer so schnell weg durch Klingel und Glocke. Kann aber wichtig werden, zumindest schlafe ich ruhiger.

Anruf aus China

Es ist kaum zu glauben, vorhin kam ein Anruf von einer mir völlig unbekannten Nummer mit der angezeigten Landeszuordnung China. Als ich abnahm, war Jürgen dran. Ich habe mich richtig gefreut, na klar, nach 3 Tagen ohne Nachricht. Er stand genau auf der Markierung des Nordpolarkreises und war sehr glücklich. Heute ist Tag-/Nachtgleiche; klasse getimt! Offenbar haben die Kanadier dort ein Festnetztelefon oder so etwas ähnliches hingestellt und die Anrufe nach Europa werden eben über China abgewickelt…

2 bis 3 Tage will er noch an dieser Grenze lang fahren und dann nach einem Bus oder einem kleinen Flugzeug Ausschau halten, um zur nächst größeren Stadt zu kommen. Denn in einer Woche ist ja der Rückflug von Anchorage nach Leipzig gebucht. Ich denke, er hätte ziemliche Lust noch länger zu bleiben und weiter zu radeln. Mal sehen, wie seine Ankunft im realen Leben abläuft. Das wird sicher nicht ganz einfach für ihn nach diesen großartigen Erlebnissen.

Bierpreise wie in Schweden

Die Spargelcremesuppe dampft vor mir im Topf. Zu heiß. So kann ich die Landschaft genießen, die Berge sind über 2500 m und haben noch viel Schnee, trotz der fast 30 Grad Hitze. Auf 1000 m ist noch eine üppige Vegetation. Darüber eher spärlich. Die Ogilvie Mountains, zu denen auch die Tombstone gehören, bilden die Grenze zum Norden. Langsam fängt dann das Tundra-Gebiet an. Bis zum Mackenzie sind es noch 500 km. Die Landschaft ist großartig, wie Gebirge in Nordschweden (z.B. Kongensvai oder Kiruna).
Heute war es sehr heiß um 28 Grad und sonnig. Sonnig heißt 21 h am Tag. Mücken gibt es inzwischen, aber gemäßigt. Mein Zelt steht frei, da kommen sie selten. Gegen die Bären gibt es hier überall Stahlcontainer. Die Wohnmobile, sehr viele, brauchen die nicht.
Heute Morgen habe ich dann meine Einkäufe in Dawson getätigt. Die Stadt (eher Dorf) ist erhalten wie vor hundert Jahren. Kein Bordell, keine Spielhölle, wenig Alkohol, nur biedere Hotels für wenige, aber biedere, Gäste. Der General Store war sehr gut sortiert und sogar am Sonntag offen. Der Liquerstore hat nur von Dienstag bis Samstag von 12 bis 19 geöffnet. Geheimtipp, aber nicht weitersagen, im Hotel Eldorado gegenüber wird in der Lounge ab 11 Uhr eine geringe Auswahl angeboten. Waren es die russischen Missionare oder war es die Prohibition? Gestern hatte ich sehr gut und üppig im Restaurant Jack London gespeist. Bierpreise wie in Schweden. Für die Portion Schweinebraten mussten wohl zwei Tiere dran glauben.
Gut versorgt mit Brot, Wurst, Obst, Keksen ging es dann 120 km in die Berge nördlich von Dawson auf dem Dampster Highway, immer nach Norden und dann gerade aus (so war doch früher die Werbung für Bommerlunder?).